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Kinder, die hassen

Hass wird nicht als mangelnde Liebe verstanden, sondern die blosse Versagung von Grundbedürfnissen im Leben eines Kindes kann bereits ausreichen, unzähmbare Mengen von Aggression und Dekonstruktivität oder andere Störungen hervorzurufen (Freud: Todestrieb als Einheit von Aggression und Dekonstruktion).

Redl und Wineman sehen zwei Faktoren , die für unsere erzieherische und therapeutische Hilfslosigkeit verantwortlich sind:
  • Die Auflösung der Selbstkontrolle
  • sowie das sich ein Teil ihres Hasses zu einem gut ausgebauten Sektor des scharfsinnig entwickelten Abwehrsystem gegen eine moralische Verflechtung mit ihrer Umwelt verfestigt hat (nicht "der Hass").
Daraus entstehen Folgen für die Behandlung dieser Kinder:
  • Die Störung im "Funktionieren" ihrer Selbstkontrolle detailliert untersuchen.
  • Die Kinder leiden an den spezifischen Störungen und Fehlentwicklungen ihres "Kontrollsystems" oder um die psychoanalytischen Ausdrücke zu verwenden, ihres Ich's und ihres Überich's.
  • Dadurch ist eine erfolgreiche Behandlung nur möglich, wenn man ein gründliches Bild erstellt, was diese Ich-Störung und Fehlentwicklung des Überich's bewirken. Welche Ich-Funktionen gestört oder intakt sind. Man muss genau wissen, welche Abwehrmechanismen die Kinder entwickelt haben, um sich gegen die Einwirkung ihrer Umwelt zu wehren.
  • Man braucht also einen "Plan", zur Unterstützung und Stärkung der geschädigten Ich-Funktionen und ebenfalls einen gegen Wahnvorstellungen wirksamen Plan, um die Abwehr aufzulösen, bevor man Therapiemethoden testen kann.
1. Das Pioneer House: Ein Experiment mit einem neuen Konzept

Die 3 Hauptziele:
  • Wie sind diese Kinder und was bewegt sie?
  • Was muss getan werden, um ihr Verhalten zu mässigen? --> Wichtige Aufgabe, bevor man Therapie auch nur versuchen kann (welche Handlungen kann man in bestimmten Lebenslagen von diesen Kindern erwarten?).
  • Wie kann man diese Kinder "behandeln"?

Redl und Wineman formulieren wichtige Elemente im Kinderleben:
  • Identifizierung mit Erwachsenen: Gefühl geliebt zu werden. Ermutigung, Wertvorstellungen und Massstäbe von der Erwachsenenwelt annehmen.
  • Befriedigendes Freizeitverhalten finden.
  • Angemessene Beziehungen zu Gleichaltrigen.
  • Gelegenheit Bindung an Gemeinde zu entwickeln --> Gefühl "verwurzelt" zu sein.
  • Kontignuierliche Familienstrukturen.
  • Wirtschaftliche Sicherheit für Grundbedürfnisse.

2. Auflösung und Zusammenbruch der Selbstkontrolle

Das Verhalten eines Menschen (Kindes) ist abhängig von folgenden 2 Variablen anzusehen:
  • Triebsystem: Gesamtheit aller Dränge, Impulse, Strebungen, Wünsche und Bedürfnisse
  • Kontrollsystem: Versucht das Triebsystem unter Kontrolle zu halten
In der Psychoanalyse würde die Kontrolle der Triebhaftigkeit zwei getrennten Systemen zugeschrieben werden, dem "Überich" und dem "Ich". Das "Ich" hat die Aufgabe, die Welt um uns herum einzuschätzen und zwar in ihrem physischen und sozialen Aspekten, um Gefahrensignale zu melden, falls einer unserer Wünsche zu sehr mit der Realität im Konflikt steht.


3. Das Ich, das seine Aufgaben nicht erfüllen kann

Gemäss Redl und Wineman muss das "Ich" die folgenden Aufgaben (in spezifischen Situationen) erfüllen können bzw. müssen:
  • Frustrationstoleranz (Durchbruch der Triebe, niedrige Frustrationstoleranz)
  • Bewältigung von Unsicherheit, Angst und Furcht (reale Gefahren, neurotische Angstzustände)
  • Widerstand gegen die Versuchung (Verlockung durch die Situation, Verführung durch Dinge, Ansteckbarkeit)
  • Erregung und gruppenpsychologischer Rausch
  • Sublimierungstaubheit
  • Pflege des Eigentums (Garantie für späteren Gebrauch)
  • Panik angesichts des Neuen (Bekanntheitswahn, aggressive Bewältigung, Blödelei und Spott)
  • Herrschaft über die Schleusen der Vergangenheit
  • Zusammenbruch angesichts von Schuldgefühlen
  • "Vergessen" jener Glieder in der Kausalkette, die man selbst beigesteuert hat
  • Spontane Errichtung von Ersatzkontrollen
  • "Vernünftig" bleiben auch angesichts unerwartet sich bietender Befriedigungsmöglichkeiten
  • Verwendung von Erinnerungen an frühere Befriedigung als Hilfsmittel
  • Realismus im Hinblick auf Regeln und Routinevorschriften
  • Krieg der Zeit
  • Einschätzen der sozialen Realität: Interpersonale Sensibilität - Fähigkeit abzuschätzen, wie ein anderer auf etwas reagiert, empfindet, motiviert... Sensibilität für den Gruppenkodex - Fähigkeit, was in einer Gruppe von Gleichaltrigen "geht, oder eben nicht geht". Einschätzung von Konventionen - Verhaltenskodex
  • Aus eigenen Erfahrungen lernen
  • Ziehen von Schlüssen aus den Erfahrungen anderer
  • Reaktion auf Misserfolg, Erfolg und Fehler
  • Aufforderung zum Wettbewerb
  • Ich-Integrität unter Einfluss der Gruppe
  • Die kluge Wahl der richtigen Mittel 
4. Das delinquente Ich und seine Techniken

Redl und Wineman erfassen den Begriff Delinquenz aus unterschiedlichen Perspektiven:
  • juristische Bedeutung: Welche Art des Verhaltens ist gesetzlich verboten.
  • kulturelle oder gesellschaftliche Perspektive: Verhaltensweisen im Widerspruch zur herrschenden Kultur.
  • klinischer Begriff der Delinquenz: Steht zu den obigen beiden Perspektiven nicht im Widerspruch, sondern ergänzt, wo die anderen beiden nicht mehr brauchbar sind --> stellt die Frage der Grundlage des delinquenten Verhaltens.
Strategien um Schuldgefühle zu vermeiden:
  • Verdrängung des eigenen Vorsatzes
  • Er hat es zuerst getan
  • Alle anderen machen sowieso solche Sachen
  • Wir waren alle dabei
  • Jemand hat vorher das Gleiche mit mir gemacht
  • Er hat es verdient
  • Aber ich habe mich doch hinterher wieder mit ihm vertragen
  • ....
Redl und Wineman sehen diese und ähnliche Aussagen als Zeichen für die Wertvorstellungen der Kinder. Hätten die Kinder jedoch keine Werte verinnerlicht, wären die Strategien bzw. die "Ausreden" einfacher, wie zum Beispiel: "Was soll's?"

Es ist wichtig, die Faktoren für die Unterstützung der Delinquenz herauszufinden:

  • Aufspühren von falschen Freunden
  • Affinität zur Bandenbildung und "Mob-Psychologie"
  • Verführung zur auslösenden Handlung
  • Sehnsucht nach Verlockung der Delinquenz
  • Ausnutzen von Stimmungslagen
  • Rebell für die Sache(n) eines anderen
  • Kultivierung von Ich-Idealen mit einem Hang zur Delinquenz
  • Wahn, dem Gesetz von Ursache und Wirkung nicht zu unterliegen
  • Abhängigkeit von delinquenzgebundenen Ambitionen und Fertigkeiten
Ebenfalls haben Redl und Wineman verschiedene Abwehrverhalten bzw. Techniken des "Ich's" bei seiner Abwehr gegen "Veränderungen" eruiert: 
 
  • Geständnisverstopfung (Bewusstes oder unbewusstes Verstummen)
  • Flucht in die Tugend (oberflächliche Besserung = Weniger Befragung)
  • Gruppenächtung derer, die sich bessern
  • Meiden von Personen, die der eigenen Delinquenz gefährlich werden können.
  • Weigerung, delinquenzfördernde Lebensbedingungen aufzugeben
  • Ersticken des Bedürfnisses nach Liebe, Abhängigkeit und Aktivität.
Redl und Wineman formulieren eine Art "Mechanische Abwehr gegen Kräfte der Veränderung" der Kinder. Diese verfügen über eine diagnostische Scharfsinnigkeit in Bereichen, die für den Kampf des "Ich's" relevant sind. Die Kinder verfügen über eine hervorragende Realitätseinschätzung. So merken sie genau, welche Gestik oder welche Worte beim Gegenüber zum Erfolg führen sowie wie sich der Erwachsene fühlt. Ebenfalls haben diese Kinder ein Gespür für die geringste Inkonsequenz oder den kleinsten taktischen Fehler beim Gegenüber. Sie sind selbst mit allen Tricks der Gegenbeweise ausgestattet und wenden diese daher auch zur Verteidigung an.
Bei der Behandlung der Kinder mit solchen überentwickelten Ich-Fähigkeiten im Dienste "der falschen Sache" wird gerade die Aufgabe, die Abwehr des "Ich's" in der Auseinandersetzung vorauszuahnen und auszumanövrieren, zu einem wichtigen Bestandteil der Wiederherstellung des "Ich's".

Damit ein Erwachsener ein Kind dazu bewegen kann, sich einige der Wertvorstellungen anzueignen, die der Erwachsene vertritt, ist es wichtig, dass das Kind den Erwachsenen "gern" hat (echter, von innen wirkender Einfluss). Die liebevolle, freundschaftliche Zuneigung bzw. Beziehung ist aber nur die Grundlage für die Übertragung von Wertvorstellungen und nicht das bereits erreichte Ziel.

Nachdem die Grundlage vorhanden ist, sollte ein zweiter Prozess in Gang gebracht werden: die Identifizierung. Das heisst das Kind verzichtet auf einige der starken Forderungen nach Gegenliebe des Erwachsenen und ersetzt diese übermässigen Liebesforderungen durch die Bereitschaft, einen Teil der Persönlichkeit des Erwachsenen seinem Ich-Ideal und schliesslich auch seinem "Überich" einzuverleiben. So werden die usprünglich von aussen herangetragenen Wertmassstäbe nun als Forderung des "Überich's" im Innern des Kindes verankert.


5. Die Pathologie eines kranken Gewissens

Wie bereits oben erwähnt, sehen die Autoren das "Überich" als Gewissen des Menschen. Die Autoren gehen weiter davon aus, dass nicht nur geschädigtes oder krankes Gewissen bei unseren Kinder zusammen kommen, sondern zusätzlich ebenfalls noch ein geschädigtes oder delinquentes "Ich".


6. Das Phänomen des Behandlungsschocks

Während den ersten drei Monaten im Pioneer House zeigen die meisten Kinder gewisse Schock-Reaktionen, die man in verschiedene Kategorien unterteilen kann.

Übertragungsphänomene:
Impulse, die ursprünglich dem Vater oder der Mutter gegenüber empfunden worden sind, reaktiviert und auf den Therapeuten gerichtet werden. Es wird durch den Therapeuten versucht, den charakteristischen Verhaltensstil des Selbstausdrucks zu ändern, dann begegnet man dem Phänomen des Widerstands. Das heisst man begegnet Abwehrmechanismen, die von der einfachen Verdrängung bis zum ausgefeiltesten und komplexesten Ich-Verhalten gegen die Anerkennung und Modifikation der eigenen Triebimpulse reichen. Dies mit dem Ziel, die ursprünglichen Verhaltensweisen zu bewahren.

Angst vor Liebe:
Solche Kinder sind auf sich selbst als emotionale Objekte ausgerichtet. Sie sind in ihrer Entwicklung nicht so weit gekommen, um es auch mit anderen Menschen in einem emotional positiven Sinn aufnehmen zu können. Obwohl die Lebensanschauung dieser Kinder auf dem infantilsten Narzismus gegründet ist, haben sie bis zur Vorpubertät ein oberflächliches Bewusstsein dessen erworben, wie man sein Leben leben sollte.
Diese Kinder haben das Wissen, dass Hass und Aggressionen nicht gerechtfertig sind, wenn man gut behandelt wird. Deshalb entwickeln sie Schuldgefühle, wenn sie den liebenden Erwachsenen keine Zuneigung entgegen bringen können. Da die Erwachsenen Liebe als Bedrohung ihres Anpassungssystem verstanden wird. Ebenfalls haben die Autoren sogar provokatives Trotzverhalten beobachtet, dass darauf abzielte, die Erwachsenen in "Bestrafungsfallen" zu locken.

Vernachlässigungsödem "im Land, wo Milch und Honig fliesst":
Die Kinder sind Opfer von Vernachlässigung(en). Durch wiederholte Frustrierung ihrer Grundbedürfnisse sind sie chronisch traumatisiert. Die entgegen gebrachte Liebe der Erwachsenen wird vom Kind narzistisch verstanden und dieser Auffassung ("Wenn sie mich lieben, werden sie mir alles geben was ich wünsche und ich darf alles machen, was ich möchte") leistet das Vernachlässigungstrauma ihres früheren Lebens Vorschub.
 
(Stichwort-Ausschnitt aus Zusammenfassung von C. Belz vom Buch "Kinder, die hassen" von Fritz Redl und David Wineman, 1970)
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